Hunger

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[Rezension] Wir Kinder von Bergen-Belsen (Hetty E. Verolme)

Veröffentlicht 11. März 2024 von erlesenebuecher

Hunger, Engel & Familie

Appetithäppchen: Dezember 1944. Von ihren Eltern getrennt, bleiben im Konzentrationslager Bergen-Belsen etwa vierzig Kinder zwischen zehn Monaten und sechzehn Jahren zurück. Noch am selben Tag finden sich ihre Namen auf einer Transportliste mit unbekannten Ziel. Ein Transport, der Bergen-Belsen niemals verlassen wird. Hetty Verolme, die das Inferno von Bergen-Belsen als Fünfzehnjährige nur wenige Schritte entfernt von der Baracke Anne Franks überlebt hat, lässt in ihrem Buch eine der bemerkenswertesten, weitgehend unerzählten Geschichten des Holocaust wieder aufleben: Von den anderen als „Ersatzmutter“ akzeptiert, organisiert sie zusammen mit den anderen Kindern und einer polnischen Aufseherin den Überlebenskampf der Gruppe gegen ihre Vernichtung.

Verfasserin: Hetty Esther Verolme wurde 1930 in Belgien geboren. 1931 zog ihre Familie in die Niederlande nach Amsterdam. Von dort wurden sie und ihre Angehörigen Ende des Jahres 1943 deportiert. Sie überlebte den Holocaust und begann auf Wunsch der britischen Armee mit der Niederschrift ihrer Geschichte einige Tage nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen. In die Niederlande zurückgekehrt, beschloss sie 1954, zusammen mit ihrer Tochter nach Australien auszuwandern, und baute sich dort eine neue Existenz auf. In dieser Zeit entstand nach und nach unter Zuhilfenahme der frühen Aufzeichnungen das vorliegende Buch. Es erschien 2000 in Australien und wurde dort mit dem National Literary Award ausgezeichnet.

Übersetzerin: Mirjam Pressler

[Weltbild/ Beltz (2000)]

Meine Meinung: Ich stehe vor der Herausforderung, meine Eindrücke zu diesem Buch angemessen in Worte zu fassen. Es hat mich zutiefst beeindruckt, stammt es doch von einer Überlebenden des Kinderhauses von Bergen-Belsen. Unglaublich sind die Erfahrungen, die sie dort gemacht hat, die Qualen, die die Kinder durchleiden mussten. Doch gleichzeitig beschreibt das Buch auch die Liebe, das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt, der unter den Gefangenen existierte, und hebt somit auch die schönen Aspekte hervor.

Ich lese immer wieder gerne Bücher aus dieser Zeit, weil sie uns daran erinnern, dass wir die Vergangenheit nicht vergessen dürfen. Sie soll immer wieder neu beleuchtet werden, um zu verstehen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, und uns dazu motivieren, ähnliche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern. Zugleich übt diese Zeit eine besondere Faszination aus und macht uns demütig angesichts unseres heutigen Überflusses und der Tatsache, dass wir in einer Generation leben, die kaum erlebt hat, was es bedeutet, Hunger zu leiden.

Hetty erzählt von ihrem Überlebenskampf in Bergen-Belsen, von den Strapazen, die sie durchgestanden hat. Sie hat auf ihre Brüder aufgepasst, hat jedoch auch viele Freunde und Familienangehörige verloren. Umso größer ist das Wunder, dass sie am Ende des Krieges mit ihren beiden Brüdern ihre Eltern wiedertrifft und ihre Familie wieder vereint ist. Dies ist nicht zuletzt dem „Engel von Bergen-Belsen“, Schwester Luba, zu verdanken, einer außergewöhnlichen Frau, die unermüdlich für die Kinder kämpfte, obwohl sie selbst schwere Schicksalsschläge erlitten hatte.

Bergen-Belsen liegt nicht weit von meinem Zuhause entfernt, und ich plane, es bald zu besuchen. Ich werde Hetty und die vielen Kinder und Menschen, die dort ihr Leben verloren haben, in meinem Herzen tragen. Wenn man die Bilder der Befreiung von Bergen-Belsen sieht, stockt einem der Atem. Die Leichenberge, die für die Insassen zur traurigen Normalität geworden waren, zeugen von unvorstellbarem Leid, das niemals vergessen werden darf.

Bewertung: 5 von 5 Punkten

[Rezension] Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden (Per J. Andersson)

Veröffentlicht 26. Oktober 2023 von erlesenebuecher

Portrait, Hunger & Prophezeiung

Appetithäppchen: Pikay lernt 1975 in New Delhi durch Zufall die junge Schwedin Lotta kennen und verliebt sich unsterblich in sie. Als Lotta zurück nach Schweden geht, setzt sich Pikay kurz entschlossen auf ein altes Fahrrad und fährt ihr hinterher…

Verfasser: Per J. Andersson ist Journalist und Schriftsteller mit Schwerpunkt Indien. Er ist Mitbegründer von Schwedens bekanntestem Reisemagazin VAGABOND und ist in den letzten 30 Jahren mindestens einmal jährlich nach Indien gereist.

[Kiepenhauer & Witsch (2015)]

Meine Meinung: Das Buch lag bereits eine Weile auf meinem SuB, aber ich habe es endlich gelesen. Schon der Titel hat mich angesprochen, und ich bin der Meinung, dass ich das Ehepaar auch schon einmal in einer Fernsehsendung gesehen habe. Aber an sich haben schon die beiden Länder Indien und Schweden gereicht, um mein Interesse für dieses Buch zu wecken. Indien, ein Land, das mich schon lange fasziniert durch seine Buntheit und die wunderschönen Farben. Als großer Bollywood-Fan übt es eine einzigartige Anziehung auf mich aus. Es ist ein Land, das mir völlig fremd ist, aber mich dennoch in seinen Bann zieht. Schweden hingegen gehört gewissermaßen zu meinen Herzensländern. Wenn ich jemals auswandern würde, dann am liebsten nach Schweden (oder Dänemark oder Norwegen). Schweden ist gewissermaßen mein Sehnsuchtsland, und nun vereint dieses Buch beide Länder.

Im Buch steht hauptsächlich die Lebensgeschichte von Pikay im Fokus. Erst in der Mitte des Buches trifft er überhaupt auf Lotta, in die er sich verliebt. Davor dreht sich die Geschichte vor allem um seine Kindheit und Jugend mitten im Dschungel Indiens. Als Angehöriger der unberührbaren Kaste wuchs er inmitten der Natur auf, jedoch völlig abgeschnitten von der zivilisierten Welt. Er musste sich in dieser harten Umgebung durchschlagen und war mehrmals kurz davor, sein Leben zu beenden, da er von Armut und Hunger geplagt war und keine Perspektive mehr sah. Doch eine Prophezeiung, die ihm bei seiner Geburt gemacht wurde, besagte, dass er eine Frau aus einem fernen Land finden würde. Dieses Schicksal schien vorherbestimmt. Pikay schlägt sich durch und beginnt ein Kunststudium. Er entpuppt sich als begnadeter Maler und Portraitzeichner und trifft auf wichtige Persönlichkeiten in Indien, was ihm schließlich den Weg in die Hauptstadt ebnet. Dort begegnet er immer mehr Menschen aus dem Westen, die den Hippie-Trail bereisen, und trifft schließlich auf Lotta, seine große Liebe. Doch als Lotta nach Schweden zurückkehrt, um ihre Ausbildung zu beenden, macht er sich mit dem Fahrrad auf den Weg in Richtung Schweden, obwohl er keine genaue Vorstellung davon hat, wie weit die Reise tatsächlich ist. Auf diesem Abenteuer erlebt er verschiedene aufregende Begegnungen und Erfahrungen, doch diese Roadtour wird im Buch eher knapp behandelt.

Das Buch erzählt die faszinierende Lebensgeschichte eines Mannes und ist äußerst interessant und spannend. Mir persönlich fehlte jedoch manchmal die Präsenz von Lotta. Die Geschichte konzentriert sich hauptsächlich auf Pikay, wodurch es gelegentlich etwas eindimensional wirkt. Ich hätte gerne mehr über Lotta erfahren, da sie zweifellos eine bedeutende Rolle in seinem Leben spielt.

Bewertung: 4 von 5 Punkten

Im Land des Flüsterns (Barbara Demick)

Veröffentlicht 30. Januar 2016 von erlesenebuecher

Wanderschwalben, Hunger & Dunkelheit

Appetithäppchen: Seit den massiven Kriegsdrohungen Nordkoreas im Frühjahr 2013 steht das streng abgeschottete Land im Fokus des internationalen Interesses. Die Ostasien-Korrespondentin der Los Angeles Times, Barbara Demick, ist eine exzellente Kennerin der Verhältnisse in der didaktorisch regierten Volksrepublik. In ihrem mit dem Human Rights Book Award ausgezeichneten Buch liefert sie tiefe und verstörende Einblicke in das Alltagsleben Nordkoreas und zeigt uns eine ferne, sehr fremde Welt.

Verfasserin: Barbara Demick war als Korrespondentin des „Philadelphia Enquirer“ ab 1986 vor allem in Osteuropa und im Nahen Osten tätig. Seit 2001 berichtet sie für die „Los Angeles Times“ aus Ostasien; derzeit ist sie in Peking akkreditiert. Für ihre Berichterstattung aus dem belagerten Sarajevo ist sie mit dem Robert F. Kennedy Award ausgezeichnet und für den Pulitzer-Preis nominiert worden. Das daraus entstandene Buch „Die Rosen von Sarajevo“ ist bei Droemer erschinenen. Das vorliegende Buch wurde mit dem Human Rights Book Award ausgezeichnet.

[Droemer Verlag (2013)]

Meine Meinung: Es ist unglaublich, dass es dieses Land zur heutigen Zeit noch so gibt, wie es ist. Was dieses peinlich, veraltete, tyrannische Regime der Bevölkerung antut, kann man kaum glauben. Und viele Länder gucken tatenlos zu, da sie nur wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aber das ist ja nichts Neues.

Nachdem ich „Flucht aus Lager 14„, in dem es vor allem um die Gefangenenlager in Nordkorea geht, gelesen habe, wollte ich unbedingt mehr aus dem Alltag in diesem furchtbaren Land wissen. Genau das konnte mir Barbara Demick nun mit ihrem Buch liefern. Sie erzählt verschiedene Geschichten aus dem Alltag. Dazu hat sie viele Flüchtlinge aus Nordkorea, die in China oder Südkorea leben, interviewt. Vor allem geht es um das Leben von sechs ganz unterschiedlichen Menschen, die bereit waren ausgiebig zu erzählen. Demick selbst war auch viele Male in Nordkorea und hat sich ebenfalls ein Bild machen können.

Man erfährt Unglaubliches und sehr oft musste ich immer wieder auf die Jahreszahlen gucken, von wann diese Berichte sind, da es sich wie das vorvorherige Jahrhundert anhörte und nicht wie die 90er oder Anfang 2000. Schon allein wie man in diesem Land gereist ist, was das für Verhältnisse sind. Ganz zu schweigen von der Kommunikation in den 90ern. Post kam im Winter eigentlich nie an, da die Beamten die Briefe verheizt haben, um nicht zu erfrieren. Im Sommer dauerte ein Brief manchmal Monate für z.B. eine Strecke von 150 km.

Aber das sind ja nur die Dinge, die am Rande geschildert wurden. Vor allem war natürlich die großen Hungersnöte in den 90ern prägend. Es sind Millionen Menschen einfach verhungert, da die Regierung, die sich doch als großer Wohltäter aufspielte, nicht wirtschaften konnte bzw. wollte, da alles in die eigenen Taschen floß, wie z.B. auch die vielen Nahrungslieferungen der Westländer. Es war ein völlig natürliches Straßenbild, abgehungerte, bettelnde Kinder zu sehen, auch wenn Leichen am Wegesrand lagen, überraschte es keinen.

Erschreckend ist auch, wie dieses Land in den Flüchtlingen nachwirkt. So könnte man denken, es gibt ja für jeden der Interviewten ein Happy End, da sie am Ende in Südkorea oder China leben. Auf jeden Fall haben sie dort genug zu Essen, das ist ein Fortschritt. Aber sie leben alle mit großen Schuldgefühlen, sei es weil sie einige Dinge tun mussten bzw. unterlassen haben, um selbst zu überleben, oder weil ihre Angehörigen vermutlich tot sind, da sie geflüchtet sind.

Das Buch lässt einen traurig, leer zurück. Aber es ist so wichtig, dass die Welt nicht mehr die Augen verschließt. Ich finde es schon richtig, dass die Welt sich über Kim Jong Un lustig macht, da er wirklich eine Witzfigur ist. Aber man darf nicht vergessen, dass dort Millionen von Menschen unter seiner Willkür leiden!

Bewertung: 4,5 von 5 Punkten

Flucht aus Lager 14 (Blaine Harden)

Veröffentlicht 31. Januar 2014 von erlesenebuecher

Zehn Gesetze, Denunzieren & Hunger

Appetithäppchen: In Nordkorea existieren Straflager von unbeschreiblicher Brutalität, und doch sind sie kaum bekannt. Unter den ganz wenigen Zeugenberichten, die es überhaupt gibt, ragt die Geschichte von Shin Dong-hyuk heraus: Als Kind zweier Häftlinge wird er im Lager 14 geboren, einem der Lager, aus dem niemand je entlassen wird. Nachdem er 23 Jahre in dieser Hölle überlebt hat, wagt er die Flucht, die ihm wider alle Wahrscheinlichkeit gelingt. Shins Bericht ist das berührende Zeugnis eines ungewöhnlichen Schicksals und zugleich Dokument eines unmenschlichen Lagersystems. Nicht zuletzt ist das Buch ein Appell an die Welt, nicht länger wegzuschauen.

Verfasser: Blaine Harden, geboren 1952, ist Autor des Economist und der US-Dokumentarsendung PBS Frontline. Zuvor war er Korrespondent der Washington Post in Asien, Osteuropa und Afrika und arbeitete eine Zeitlang für die New York Times. Er lebt in Seattle. Shin Dong-hyuk, geboren 1982 im Lager 14, lebt seit seiner Flucht aus Nordkorea in Washington und Seoul.

[Deutsche Verlags-Anstalt (2012)]

Meine Meinung: Es ist schwer in Worte zu fassen, was dieses Buch bei einem hinterlässt. Es wirkt zu Beginn so unecht, unwirklich, da man es nicht begreifen kann. Es ist gerade zu Beginn so erschreckend nüchtern geschrieben, ohne Gefühle. Aber genau das ist es ja, wie Shin in dem Lager groß geworden ist – ohne Gefühle.

Ich habe schon viele Bücher über Konzentrationslager aus dem 2. Weltkrieg gelesen. Das Grauen, von welchem dort berichtet wird, geht einem durch Mark und Bein, man kann kaum atmen. Diese Einzelschicksale lassen einen nicht kalt. Ganz normale Leute werden plötzlich aus ihrem Leben gerissen, verlieren alles, was ihnen lieb und teuer ist und werden erniedrigt und gefoltert. Man kann es (ansatzweise) nachvollziehen, was diese Menschen durchmachen. Aber in diesem Fall, bei diesem Buch, kann es keiner nachvollziehen, da Shin schon so aufgewachsen ist. Er hat nichts verloren, da er nie etwas besessen hat. Er konnte nicht um seine Mutter weinen, da er nicht wusste, was Liebe ist. Wenn das alles irgendwie bewusst wird, durchläuft es einem eiskalt!

Nordkorea ist eines der absurdesten, erschreckendsten und unfassbarsten Länder der Welt. Es sollte gerade momentan jedem klar sein, was die Bevölkerung da gerade durchmacht und was für machthungrige, gefühlskalte und dumme Menschen dort an der Macht sind. Das Thema darf nicht wieder unter den Tisch fallen. Gerade solche Bücher, wie dieses hier, sollten gelesen werden und Bewusstsein schaffen.

Das Deprimierendste an dem Buch ist, dass es kein Happy End gibt. Klar ist Shin die Flucht gelungen und er ist dem äußeren Martyrium entkommen, aber innerlich lässt es einen ja nicht plötzlich los. Es wird noch ein langer Weg…

Bewertung: 5 von 5 Punkten